
Klimafrust statt Klimaschutz Wird Nachhaltigkeit zur Nebensache?
Ob im Supermarkt oder bei Reisen: Die Konsumenten in Deutschland haben in den vergangenen Jahren weniger auf das Klima geachtet. Das zeigt eine Analyse. Warum ist das so?
Den Menschen in Deutschland ist Nachhaltigkeit nicht mehr so wichtig wie noch vor ein einigen Jahren. Das geht aus einer Analyse des Marktforschungsunternehmens NIQ hervor. Die Konsumenten haben demnach immer seltener Schuldgefühle, wenn sie sich nicht umweltfreundlich verhalten. 2019 gaben das in einer repräsentativen Umfrage 30 Prozent an, 2024 waren es 22 Prozent.
Nachhaltigkeit wird zum Luxus
Woran liegt das? Petra Süptitz, Nachhaltigkeitsexpertin bei NIQ, führt diese Ergebnisse auf die schlechtere wirtschaftliche Lage der Konsumenten zurück. Günstige Produkte und Rabattaktionen wirken dadurch verführerischer als früher. Während vor der Pandemie noch 34 Prozent der Befragten bereit waren, persönliche Opfer für den Klimaschutz zu bringen, sind es aktuell noch 24 Prozent. Wirtschaftliche Unsicherheit und Inflation verschieben die Prioritäten, sodass viele Verbraucher Nachhaltigkeit zunehmend als Luxus betrachten.
Die Reiselust steigt, der Klimafrust auch
Auch wenn sich immer weniger Geld im Portemonnaie befindet, auf eines wollen die Deutschen nicht verzichten: das Reisen. In keinem anderen Land sind die Pro-Kopf-Ausgaben für Auslandsreisen höher; insbesondere Kreuzfahrten und Flugreisen sind gefragt.
"Auf der Strecke bleibt das Interesse an nachhaltigem Reisen", sagt Karen Wittel, Gründerin von Atambo Tours, einem Reiseportal für nachhaltige Reisen. Vor allem Fernreisen hat die Frankfurter Agentur im Portfolio. Natürlich sei bei Flugreisen die Klimakompensation ein absolutes Muss, doch immer weniger Menschen wollen dafür zahlen: Die Bereitschaft dazu sank laut Umweltbundesamt von neun auf zuletzt vier Prozent.
Bequemlichkeit schlägt Nachhaltigkeit
Während die Nachfrage nach Reisen mit Nachhaltigkeitskennzeichnungen um etwa 30 Prozent zurückgegangen ist, sind Pauschalreisen gefragter denn je. Vor allem All-inclusive-Angebote gelten als bequem und finanziell überschaubar.
Trotz dieses negativen Trends hat Karen Wittel eine Mission: Sie sieht es als ihre Aufgabe, Menschen auf neue Ideen zu bringen. Als wir mit ihr sprechen, sitzt Familie Deschner bei ihr im Reisebüro. Ursprünglich wollten sie eine Kreuzfahrt machen, doch Wittel gelingt es, sie für einen Segeltörn zu begeistern. Ihre Argumente: Es ist viel nachhaltiger, individueller und erinnerungswerter als ein Urlaub auf der Hotel-Liege.
Auch bei Lebensmitteln bequemlicher
Nicht nur beim Reisen, auch in der Ernährung der Deutschen sind Veränderungen mit Blick auf die Nachhaltigkeit spürbar. Neben den Finanzen gibt es hier einen weiteren entscheidenden Faktor, der Nachhaltigkeit in den Hintergrund rücken lässt. "Fast ein Viertel der Menschen gibt an, heute einfach zu beschäftigt zu sein, um nachhaltig zu leben", sagt Expertin Süptitz. "Corona war eine Sondersituation - Menschen hatten mehr Zeit, gingen in die Natur. Das hat dem Thema Nachhaltigkeit einen Boost gegeben."
Unverpackt-Läden, die in ihrer DNA auf Nachhaltigkeit setzen, leiden besonders unter dem Bedürfnis der Menschen nach Bequemlichkeit. Von 337 Läden im Jahr 2022 in Deutschland ist die Zahl im April 2025 auf 169 gesunken.
Zu denen, die aufgeben mussten, gehören Julia Wardin und ihr Unverpackt-Laden in Otzberg im Landkreis Darmstadt-Dieburg. Die Kunden seien von ihrem Konzept zwar überzeugt, kaufen aber trotzdem anderswo ein. Wardin musste feststellen, dass der Aufwand für die Kunden zu hoch ist: Verpackungen mitbringen, füllen und abwiegen - drei Schritte, die im Supermarkt nur einen Handgriff bedeuten. Ihre Feststellung: Nach fünf Jahren hat sich die Bequemlichkeit gegen die Nachhaltigkeit durchgesetzt.
Das Ende ihres Ladens sieht Wardin allerdings nicht als Niederlage. Viele Kunden hätten unglaublich viel Müll eingespart und gingen nun bewusster mit dem Thema um. Und sie arbeitet bereits an einem neuen Konzept: eine Mischung aus verpackt und unverpackt, sodass die Kunden langsam an das Thema herangeführt werden.
Positive Tendenz, aber keine Trendwende
Der NIQ Nachhaltigkeitsindex zeigt zwar im April 2025 erstmals seit Monaten wieder einen leichten Aufwärtstrend, liegt aber weiterhin unter dem Vorjahresniveau.
Das Bewusstsein für Umweltschutz und Nachhaltigkeit ist nicht verschwunden, es ist aber pragmatischer geworden. Nachhaltigkeit wird dort nachgefragt, wo der Preis stimmt und es zum Leben passt.