
Sachsen-Anhalt "Dieses Dorf hat den Film gemacht" – Regisseurin Mascha Schilinski über ihren Cannes-Film
In Cannes beginnen die Internationalen Filmfestspiele. Mit dabei ist der Film "In die Sonne schauen", der 2023 in der Altmark in Sachsen-Anhalt gedreht wurde. Die Berliner Regisseurin Mascha Schilinski verknüpft darin das Leben von vier Frauen, die in unterschiedlichen Epochen auf demselben Vierseitenhof gelebt haben. Es ist der erste deutsche Film seit acht Jahren, der in Cannes im großen Wettbewerb um die Goldene Palme konkurriert. MDR KULTUR hat mit der Regisseurin gesprochen.
- Beim Filmfestival in Cannes, das am Dienstag startet, ist ein Film aus Sachsen-Anhalt im Wettbewerb dabei.
- Regisseurin Mascha Shilinski entwickelte und drehte "In die Sonne schauen" auf einem Vierseitenhof in der Altmark.
- Dabei stieß sie im Dorf Neulingen (Salzwedel) auf viel Unterstützung durch Anwohner.
MDR KULTUR: Ihr Film "In die Sonne schauen" feiert seine Uraufführung im Internationalen Wettbewerb von Cannes und konkurriert als erster deutscher Film seit acht Jahren um die Goldene Palme.
Mascha Schilinski: Es ist ein großes Geschenk für diesen Film und für alle Menschen, die so hart fünf Jahre lang daran gearbeitet haben. Und ich fühle mich natürlich total geehrt, dass wir da mit dabei sein dürfen.

Die Internationalen Filmfestspiele von Cannes gelten als das bedeutendste Filmfestival weltweit.
Bereits zuvor hatten Sie für das Drehbuch den Thomas Strittmatter Preis erhalten. Dann die Dreharbeiten im Jahr 2023 in Neulingen, einem kleinen Dorf im Norden von Sachsen-Anhalt. Zentraler Schauplatz: ein Vierseitenhof. Welche Geschichte wird da erzählt?
Es ist die Geschichte von all den Menschen, die innerhalb eines Jahrhunderts dort auf diesem Hof gelebt haben. Der Film springt eigentlich mosaikartig, assoziativ durch die Zeiten, und wir schauen dabei durch den radikal subjektiven Blick von vier Protagonistinnen – in vier verschiedenen Jahrzehnten –, die voneinander nichts wissen und die doch gegenseitig Spuren der Vergangenheit in sich tragen.
Was war Grundlage für das Drehbuch? Welche Geschichten haben Sie vor Ort gefunden: Tagebücher, Briefe etc.?
Der Hof selber stand 50 Jahre lang leer, und als wir durch dieses Haus gewandelt sind, konnte man wirklich in jeder Etage ein anderes Jahrzehnt vorfinden – wo jemand nicht mehr gelebt hat. Unten waren irgendwie so die 70er-, 80er-Jahre spürbar. Da und dort noch ein bisschen die Neunziger. Und oben war man wirklich in 1910. Und da hatte sich seitdem nichts mehr verändert. Und das war natürlich total inspirierend, weil man da durch gegangen ist und unweigerlich wirkliche Spuren der Vergangenheit gesehen hat.

Bild aus "In die Sonne schauen" – der Film spielt in vier Epochen am selben Ort.
Aber die eigentliche Initiation für die Geschichte ist ein ganz alter Kindheitstraum von mir. Ich bin in einer Berliner Altbauwohnung groß geworden. Das hat mich immer fasziniert, schon als Kind: Wer oder was hat hier vor mir gelebt? Wer saß vielleicht genau an der Stelle, an der ich jetzt gerade sitze – und hat was gedacht oder gefühlt und was für ein Schicksal vielleicht erlebt? Und damit konnte ich irgendwie Stunden zubringen als Kind, mir das so auszumalen. Und diese alten Kindheitsfragen kamen an diesem Ort wieder hoch.
Und mit Ihrer Co-Autorin Louise Peter haben Sie eine Partnerin gefunden, die das auch sehr gerne aufgegriffen hat?
Ja, wir haben zusammen das Buch entwickelt. Wir waren zusammen auf diesem Hof und haben eigentlich jede an eigenen Sachen geschrieben. Und beim Prokrastinieren sind wir dann immer wieder bei diesen Themen hängengeblieben und haben irgendwann beide unsere anderen Stoffe zur Seite gekickt und gesagt: Komm, dann lass uns das jetzt doch zusammen machen. Und so ist das dann entstanden.
Hat sich der entlegene Norden von Sachsen-Anhalt besonders gut für die kreative Langeweile geeignet? Und wie war es, dort zu drehen?
Es ist ein total besonderer Ort. Wir hätten diesen Film niemals ohne dieses Dorf drehen können, weil wir die Drehbuchentwicklung in den Corona-Jahren gemacht haben. Das heißt, für persönliche Recherche war kaum die Möglichkeit außer mit Dorfbewohnern, wo man einfach ins Gespräch kam und Bilder anschauen durfte und Archivmaterialien begutachten konnte, wie diese Höfe früher aussahen und wie eben vielleicht auch die Zeit stehengeblieben ist in manchen Teilen.

Die Auswahlkommission von Cannes hat den Film von Mascha Schilinski für den Internationalen Wettbewerb ausgewählt, wo er um die Goldene Palme konkurriert.
Dieses Dorf hat den Film gemacht. Dann wurden uns Archivmaterialien zur Verfügung gestellt, und es ist ein sehr besonderes Dorf – vor allem, weil noch ein Stück weit im besten Sinne die Zeit stehen geblieben ist. Das heißt, die ganzen Gebäude sind einfach noch so erhalten, wie sie auch größtenteils damals gebaut worden sind.
Mehr Informationen zum Film
Film: "In die Sonne schauen"
Internationaler Titel: "Sound of Falling"
Regie: Mascha Schilinski, Drehbuch mit Louise Peter
Deutschland 2025
Länge: 149 Minuten
Premiere während der Internationalen Filmfestspiele in Cannes (13. bis 24. Mai)
Die Goldenen Palmen werden am 24. Mai vergeben.
Voraussichtlicher Kinostart: 11. September 2025
Quelle: MDR KULTUR (Thomas Bille), Redaktionelle Bearbeitung: lm